Krankmeldungen (AU-Bescheinigungen) sind im Arbeitsleben alltäglich, doch manch gesunder Arbeitnehmer meldet sich nur krank, um „blau zu machen“. Aber was können Arbeitgeber tun, wenn ein Arbeitnehmer eine Erkrankung möglicherweise nur vortäuscht? Die Rechtsprechung hat sich zuletzt zugunsten der Arbeitgeber entwickelt.
Eine Krankmeldung ist etwas anderes als eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Die Krankmeldung nimmt der Arbeitnehmer selbst vor. Es handelt sich um den klassischen Anruf mit dem Inhalt „Ich bin heute krank“. Diese Krankmeldung dient nur als Information für den Arbeitgeber. Sie ist mündlich, schriftlich oder auf sonstige Weise möglich.
Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AUB) hingegen ist der ärztliche Bescheid über die Arbeitsunfähigkeit des Mitarbeiters. Mit diesem Dokument erbringt der Arbeitnehmer den Beweis, dass er tatsächlich erkrankt ist. Der Bescheinigung kommt also eine Beweisfunktion zu.
Spätestens ab einer Krankheitsdauer von drei Tagen ist die Vorlage sogar Pflicht, wenn der Arbeitsvertrag nicht eine kürzere Frist bestimmt. Die rechtzeitige Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist Voraussetzung für die Entgeltfortzahlung (§ 5 Abs. 1 EFZG). Der Arbeitgeber muss den Mitarbeiter also nicht weiterbezahlen, wenn er keine AUB erhält.
Neu: Ärzte können eine AUB auch ohne eine Untersuchung in Präsenz ausstellen. Notwendig ist eine Untersuchung per Videokonferenz; gegenüber bekannten Patienten genügt bei schwacher Symptomatik sogar ein einfaches Telefonat. So sieht es die Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie (AURL) vor.
Allerdings gelten Einschränkungen:
Das Landesarbeitsgericht Niedersachsen hatte kürzlich über einen Fall zu entscheiden, in dem der Arzt eine zweite AUB am Telefon und ohne jede Untersuchung ausstellte. Der Beweiswert dieses Attests war erschüttert, sodass der Mitarbeiter für den Zeitraum keine Entgeltfortzahlung verlangen konnte (Urteil v. 18.04.2024, Az.: 6 Sa 416/23).
Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung genießt vor Gericht einen hohen Beweiswert. Das bedeutet, dass Sie als Arbeitgeber substantiiert vortragen und ggf. Gegenbeweise vorbringen müssen, um die AUB zu kippen. Hierfür ist der Einzelfall entscheidend.
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) ist den Arbeitgebern zuletzt entgegengekommen. In den folgenden Fällen lohnt sich deshalb eine nähere Prüfung, ob die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung noch Beweiskraft hat:
Zu den Fällen aus der Sphäre des Arztes zählen hauptsächlich Verstöße gegen die Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie (AURL).
Nachfolgend finden Sie die wesentlichen Vorgaben aufgelistet:
Jedenfalls muss sich der attestierende Arzt einen Eindruck von der Arbeitsfähigkeit seines Patienten gemacht haben. Dies hat er nicht, wenn es überhaupt keine Untersuchung gab. Hierunter fallen auch per WhatsApp oder per Knopfdruck ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen.
Das Arbeitsgericht Berlin hat kürzlich eine AUB zurückgewiesen, die online mittels programmierten Fragenkatalogs zustande kam (Urteil vom 01.04.2021 – 42 Ca 16289/20).
Ebenfalls ist eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung mangelhaft, die auf einer unpassenden Untersuchungsform beruht. Klagt ein Arbeitnehmer beispielsweise über eine innere Entzündung, ist eine Videokonferenz für gewöhnlich ungeeignet. Auch spielt es insbesondere bei Ferndiagnosen eine Rolle, ob der Arbeitnehmer dem attestierenden Arzt persönlich bekannt ist. Arbeitgeber könnten etwa die Anschrift des Arztes als Indiz zu Rate ziehen.
Rückwirkende Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen sind nur nach gewissenhafter ärztlicher Prüfung und nur für maximal zwei Tage zulässig. Verletzt der Arzt diese Vorschrift, ist der Beweiswert erschüttert.
Ebenso ist eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ohne Beweiswert, wenn der Arzt den Begriff der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit verkennt. Das ist der Fall, wenn der Arbeitnehmer eine Krankheit hat, die für seine Arbeit ohne Belang ist.
Beispiel: Ein verstauchter Fuß kann einen Bauarbeiter außer Gefecht setzen, während ein im Home-Office arbeitender Softwareentwickler wohl kaum an der Arbeit gehindert sein dürfte.
In diesen Fällen bringt der Arbeitnehmer sein Kartenhaus selbst zum Einsturz. Er gibt durch sein Verhalten Anlass zu Zweifeln.
Die folgenden Konstellationen entschieden die Gerichte bereits zu Gunsten des zweifelnden Arbeitgebers:
Kündigt ein Arbeitnehmer eine krankheitsbedingte Abwesenheit an oder macht er im Übrigen widersprüchliche Angaben zu seiner Arbeitsunfähigkeit, ist der Beweiswert seines Attests erschüttert. Ein verdächtiges Verhalten ist auch dann gegeben, wenn er sich auffallend oft um arbeitsfreie Tage herum krankmeldet. Das allein wird dem Gericht aber nicht genügen, um den Beweiswert zu erschüttern.
Beispiel: Der Arbeitnehmer meldet sich auffallend oft so krank, dass er sich zahlreiche Brückentage und verlängerte Wochenenden schafft. An anderen Tagen ist er kerngesund. Vorerkrankungen gibt es keine.
Ebenso verliert die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung an Wirkung, wenn der Arbeitnehmer sich nicht so verhält, wie es sein angeblicher Zustand ihm gebietet.
Beispiele: Ausgiebiger Steakhaus-Besuch nach einer Zahn-OP, Schwarzarbeit in gleicher Betätigung, ausgiebige nächtliche Kneipenbesuche, mit der Krankheit unvereinbare sportliche Aktivitäten.
Vorsicht: Die Einzelheiten des Falles spielen hier eine große Rolle. So ist es dem Arbeitnehmer nicht verboten, das Haus zu verlassen, Einkäufe zu erledigen oder – je nach Art und Schwere der Krankheit – leichten Sport zu treiben.
Wenn der Arbeitnehmer erkennbar nur seinen abgelehnten Urlaubsantrag durch eine Arbeitsunfähigkeit durchsetzen will, verliert die AUB ebenfalls ihren Beweiswert.
Gerade nach einer Kündigung ist eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kein Freibrief zum Fehlen. Deckt sich der Zeitraum der Arbeitsunfähigkeit passgenau mit jenem der Kündigungsfrist, so kann der Beweiswert erschüttert sein. Schließlich drängt sich der Eindruck auf, dass der Arbeitnehmer nur der letzten Konfrontation mit dem Vorgesetzten und den Kollegen entgehen will (BAG, Urteil vom 8.9.2021, Az. 5 AZR 149/21).
Abermals gilt: Der Einzelfall entscheidet über die Erfolgsaussichten! Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, die offensichtlich in direktem Zusammenhang mit der Kündigung vorgelegt wurde, hat ebenfalls keinen Beweiswert mehr.
Beispiel: Der Personalleiter übergibt in einem Gespräch die Kündigung. Anzeichen für eine Erkrankung gibt es nicht. Der Mitarbeiter meldet sich am selben Tag krank und legt anschließend eine AUB wegen eines Infekts vor.
Wenn der Beweiswert der AUB erschüttert ist, liegt der Ball erneut beim Arbeitnehmer. Er muss dann auf andere Weise versuchen, seine Arbeitsunfähigkeit zu beweisen. Dazu sollte er im Prozess vortragen, welche Krankheiten vorgelegen haben, welche gesundheitlichen Einschränkungen bestanden haben und welche Verhaltensmaßregeln oder Medikamente ärztlich verordnet wurden. Oft ist darüber hinaus notwendig, dass der Mitarbeiter seinen Arzt von der Schweigepflicht entbindet.
Die Erfahrung zeigt aber: Wenn schon das Attest falsch ist, können die meisten Arbeitnehmer ihre Arbeitsunfähigkeit auch nicht anderweitig beweisen.
Dann verliert der Mitarbeiter seinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung. Er kann für den Zeitraum seiner Krankheit also keinen Arbeitslohn verlangen.
Zudem kann in der missbräuchlichen Nutzung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ein Grund zur fristlosen Kündigung liegen!
In einigen Fällen machen sich Arzt und Arbeitnehmer außerdem wegen des Ausstellens und des Gebrauchs unrichtiger Gesundheitszeugnisse strafbar (§§ 278 f. StGB).
Der Arbeitgeber ist berechtigt, bei Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung eines Arbeitnehmers den Medizinischen Dienst der Krankenkassen einzuschalten.
Dabei handelt es sich um eine Art Kontrollinstanz. Der Dienst holt ein unabhängiges medizinisches Gutachten ein, welches die zuvor festgestellte Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers entweder bestätigt oder ablehnt. Für den Arbeitgeber ist dies es eine unkomplizierte Möglichkeit, den Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern.
Der Dienst wird auf Verlangen des Arbeitgebers tätig, wenn:
Wichtig: Auch, wenn der Arbeitnehmer der Untersuchung durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen schlicht nicht zustimmt, gilt der Beweiswert seiner Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung als erschüttert!
Bei Privatversicherten ist diese Möglichkeit aber leider nicht gegeben. Hier ist der Arbeitgeber auf die – im Allgemeinen als eher fruchtlos und unverhältnismäßig geltende – private Nachforschung angewiesen.
Bei Fragen rund um das Thema Arbeitsunfähigkeit und Entgeltfortzahlung wenden Sie sich an Rechtsanwalt Dr. Ahlborn in Bielefeld (Schildesche), der Sie als erfahrener Fachanwalt für Arbeitsrecht kompetent berät.